Insektizide führen zu Massensterben

Göppel fragt Prof. Dr. Teja Tscharntke, Agrarökologie an der Universität Göttingen zu Neonicotinoiden (ab min. 26:00)

Göppel fragt Prof. Dr. Teja Tscharntke, Agrarökologie an der Universität Göttingen zu Neonicotinoiden (ab min. 26:00)

Berlin, 13. Januar 2016 -  In den vergangenen 15 Jahren nahm die Biomasse der Fluginsekten in Deutschland um bis zu 80 Prozent ab. Sowohl die Arten als auch die Individuen-Zahlen sind zurückgegangen. Vom Massensterben betroffen sind unter anderem Schmetterlinge, Bienen und Schwebfliegen.

Josef Tumbrinck, Landesvorsitzender des NABU Nordrhein-Westfalen stellte im Umweltausschuss des Bundestages Untersuchungsergebnisse des Entomologischen Vereins Krefeld vor. Ehrenamtliche Insektenforscher hatten zwischen 1989 und 2014 an insgesamt 88 Standorten in Nordrhein-Westfalen fliegende Insekten gesammelt, deren Arten bestimmt und sie gewogen. „Während wir 1995 noch 1,6 Kilogramm aus den Untersuchungsfallen sammelten, sind wir heute froh, wenn es 300 Gramm sind“, so Tumbrinck.

Neonicotinoide, die seit Mitte der 1990er Jahre in der Landwirtschaft eingesetzt werden, stehen im Verdacht, für das massenhafte Sterben von Insekten verantwortlich zu sein. Immer mehr Untersuchungen deuten darauf hin, dass diese Mittel weit über ihr Einsatzgebiet und ihre Anwendungszeiten hinaus Schäden unter Bienen, aber auch in der gesamten Insektenfauna auslösen.

Göppel fragt Prof. Dr. Teja Tscharntke, Agrarökologie an der Universität Göttingen (ab min. 26:00): „Neonicotinoide sind erst 1992 von der Firma Bayer in Verkehr gebracht worden. Wir wissen heute: Neonicotioide haben eine Halbwertszeit von 18 Jahren. Wird jedes Jahr oder auch nur nach Fruchtfolge gebeizt, reichern sich diese Stoffe an. Ich möchte klarere Aussagen zu den Konsequenzen hören, was das Problem der unterschwellige Anreicherung dieser Stoffe und deren Auswirkungen auf die Hirnfunktionen der Bienen angeht.“ 

Prof. Tscharntke antwortet (bis min. 29:20): „Neonicotinoide haben eine ähnlich durchschlagende Wirkung wie früher DDT. Es gehört verboten. Der Lobbyismus der Chemieindustrie reicht aber bis in die wissenschaftlichen Kreise. Ökologische Vorrangflächen könnten eine große Bedeutung haben. Die Kompromissfindung der Agrarpolitik nur mit alternativen Anbauverfahren oder Zwischenfrüchten, hat das Ziel, bis zum Jahr 2020 den Artenverlust einzudämmen, aber verfehlt.“  

Zum Verbot der Neonicotinoide

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA ist von der Kommission beauftragt, bis 2017 alle Ergebnisse zu den Auswirkungen von Neonicotinoiden zu prüfen. Da es deutliche Hinweise auf die Bienengefährlichkeit der Stoffe gibt, hatte die EU-Kommission 2013 ein Moratorium für die Zulassung Stoffe Clothianidin und Imidacloprid von Bayer sowie Thiametoxam von Syngenta erlassen. Kleinste Dosen dieser Insektizide führen durch Blockade der Rezeptoren in den Synapsen zu Fehlfunktionen des Bienengehirns. Im Gegensatz zu vorrübergehend stimulierend wirkendem Nicotin, besetzen die Neonicotinoide die Rezeptoren dauerhaft. Durch die fortlaufende Stimulation kommt es zum Zusammenbruch der Nervensteuerung. Lebenswichtige Funktionen fallen aus, wie z.B. die Orientierung der Bienen. Darüber hinaus wird die Immunabwehr geschwächt, sodass sie anfälliger gegenüber Parasiten werden. Eine Folge ist beispielsweise die fehlende Abwehr gegen die Varroa-Milbe. 

Die Kommission hatte 2013 die Pestizide für den Anbau von Mais, Sonnenblumen, Raps und Baumwolle verboten. 60 % der Anwendungen entfallen aber auf Neonicotinoide als Beizmittel. Dabei wird das Saatgut behandelt, um es schon vor der Aussaat vor Insekten zu schützen, gegen die Sämlinge und Jungpflanzen besonders anfällig sind. Die bei Mais, Zuckerrüben oder Raps eingesetzten Insektizide haben eine systemische Wirkung, d.h. der Wirkstoff wird mit dem Saftstrom auch in neue Pflanzenteile transportiert. Die systemische Wirkung macht gerade die nicht selektiv wirkenden Neonicotinoide besonders schädlich für Populationen. Über die vernichtende Wirkung für Insekten hinaus, fehlt auch deren Biomasse als Nahrung die für insektenfressende Amphibien und Vögel. 

Die Pflanzenschutz-Getreidesaatgut-Verordnung (PflSchGetreidesaatgAnwendV)

Mit einer Eilverordnung hatte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt im Juli 2015 das Inverkehrbringen und die Aussaat von mit Neonicotinoiden behandeltem Saatgut für Wintergetreide verboten. Die Verordnung schließt auch das Verbot des Imports von entsprechend behandelten Produkten ein. Diese Eilverordnung lief turnusgemäß Ende Januar 2016 wieder aus. Um das Verbot zu entfristen, wurde ein neuer Entwurf erstellt. Darin werden Ausnahmen vom Neonicotin-Verbot vorgesehen, wenn die Haftung der Beizmittel am Saatgut abriebfest ist. Es soll gleichzeitig eine Zusammenführung mit den Regelungen zum Einsatz bei Mais erfolgen. MdB Josef Göppel hält den Verweis der Industrie auf Abriebsfestigkeit für ein Ablenkungsmanöver. Die systemische Giftwirkung auf Insekten entstehe schon bei Berührungen ohne Abrieb.

Eine Zulassung unter bestimmten Ausbringungsbedingungen wäre nicht im Sinne des Bienenschutzes. Die Schädigungen bei Bestäubern treten durch die Langzeiteinwirkungen geringster Dosen auf. Noch stärker als die Honigbienen sind Wildbienen betroffen, die ihrerseits aber viel effektiver für eine Bestäubung fruchtender Pflanzen sorgen. Die Abriebfestigkeit beeinflusst bei den systemisch wirkenden Insektiziden nicht ihre Toxizität. 

Der Vorsitzende des Deutschen Berufs- und Erwerbs-Imkerbunds, Manfred Hederer; stellt in seiner Stellungnahme zum Entwurf klar, es sei ein Irrtum, „dass die Probleme der Behandlung von Saatgut mit den im Entwurf angesprochenen Pflanzenschutzmitteln ausschließlich von der Qualität der Beizung und der eingesetzten Sähtechnik abhängen. Diese These hatte sich schon 2008 als falsch herausgestellt und ist nach dem heutigen Stand der Wissenschaft vollkommen unhaltbar.“

Fruchtfolgen tragen zu gesunden Anbaukulturen in höherem Maße bei als Insektizide. Bei den systemischen Pflanzenschutzmitteln erfolgt die Anwendung der Pestizide, bevor das Risiko eines Schädlingsbefalls überhaupt abschätzbar ist. Die vorbeugende Behandlung von Saatgut widerspricht damit den Grundprinzipien des integrierten Pflanzenschutzes. 

Neonicotinoide müssen nach Meinung von Josef Göppel deshalb keine weitere Zulassung bekommen und verboten bleiben.

Artikel vom: 21.02.2016 16:35