Gefährdet das Dienstleistungsabkommen TISA die öffentliche Daseinsvorsorge?

Briefwechsel zwischen Josef Göppel und Bundeswirtschaftsminister Gabriel

Herrieden, den 4. September 2014 – Unabhängig vom Freihandelsabkommen EU-USA verhandeln 51 Staaten derzeit über ein Handelsabkommen zu Dienstleistungen. Kritiker befürchten die erneute Entfesselung der Finanzmärkte und gravierende Folgen für die Dienstleistungen der Kommunen. MdB Josef Göppel hat Bundeswirtschaftsminister Gabriel deshalb im Juli in einem Brief auf die drohenden Gefahren hingewiesen. Der Minister verspricht nun in seiner Antwort die Bedenken aufzugreifen und keine Einschränkung der Sozial- und Umweltstandards hinzunehmen.

Hier der Briefwechsel im Wortlaut:

„Sehr geehrter Herr Bundesminister, lieber Sigmar,

Gefährdet TISA, das von 51 Staaten verhandelte Handelsabkommen zu Dienstleistungen, die mühsam erreichte Regulierung von Finanzdienstleistungen, die öffentliche Daseinsvorsorge, deutsche Sozialstandards im Dienstleistungsbereich sowie Sparkassen und Genossenschaftsbanken?

Medienberichte geben Anlass zu Sorge. In einem langwierigen Prozess hat die Europäische Union die Regulierung von Finanzdienstleistungen deutlich verbessert und damit Lehren aus der Finanzkrise gezogen. Es darf keinesfalls passieren, dass über die Hintertür eines Handelsabkommens der nun erreichte europäische Standard ver-wässert oder der künftige Handlungsspielraum verkleinert wird. Bis heute mahnen uns die verheerende Arbeitslosigkeit in Südeuropa und die Last der sprunghaft gestiegenen Staatsverschuldung als Folgen der Finanzkrise! Sparkassen und Genossenschaftsbanken sind für die Finanzierung des Mittelstands unverzichtbar. Eine erneute Debatte um das deutsche Modell im Bankensektor muss bereits im Keim gestoppt werden.

Wasserversorgung, Müllentsorgung und Erwachsenenbildung sind Kernbereiche der Daseinsvorsorge. Bürgerinnen und Bürger wollen hier den Einfluss des Staates zurecht nicht aufgeben. Die Erfahrungen mit Privatisierungen beweisen, dass es bei Dienstleistungen, auf die niemand verzichten kann, keinen Wettbewerb geben kann. Damit ist gegenüber einer öffentlichen Trägerschaft auch kein Wohlfahrtsgewinn möglich. Ich unterstütze deshalb die Position des Bundeswirtschaftsministeriums, dass die öffentliche Daseinsvorsorge nicht in die Verhandlungen einbezogen wird. Deutsch-land muss sich eindeutig gegen sogenannte „Ratchet-„ und Stillstandsklauseln wehren, die eine Rekommunalisierung von Dienstleistungen faktisch unmöglich machen würden.

Noch eine Anmerkung zur Einbeziehung der Öffentlichkeit. Es ist mir völlig unverständlich, warum die Verhandlungen der Gruppe von Staaten, die sich als „really good friends of services“ bezeichnen, geheim geführt werden. Alleine das Gerücht, dass der Vertrag und die Verhandlungspapiere erst fünf Jahre nach Abschluss der Verhandlungen veröffentlicht werden, untergräbt die Glaubwürdigkeit des Prozesses. Derart tiefgreifende Abkommen können nicht an den Bürgerinnen und Bürgern vorbei verhandelt werden. Das befeuert Verschwörungstheorien und senkt die Erfolgsaussichten für ein Dienstleistungsabkommen, das für Deutschland wichtige Vorteile im Welthandel bieten könnte.

Ich bitte um eine Stellungnahme zu den von mir angesprochenen Punkten und um Erläuterung der deutschen Verhandlungsposition in der EU.

Herzliche Grüße
Josef Göppel“

Bundeswirtschaftsminister Gabriel antwortete:

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, lieber Josef,

vielen Dank für Ihr Schreiben, in Sie Ihre Sorgen über etwaige Auswirkungen des in Verhandlungen befindlichen plurilateralen Dienstleistungsabkommens TiSA auf die Regulierung von Finanzdienstleistungen, den Fortbestand von Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die öffentliche Daseinsvorsorge sowie die deutschen Sozialstandards im Dienstleistungsbereich darstellen.
Den von Ihnen geäußerten Bedenken möchte ich entgegentreten. Die Bundesregierung setzt sich in den Verhandlungen aktiv dafür ein, dass es nicht zu den befürchteten Auswirkungen durch TiSA kommt.

Mit TiSA sollen Fragen eines verbesserten Marktzugangs für Anbieter von Dienstleistungen geregelt werden, ebenso wie der Abbau von noch bestehenden Diskriminierungen europäischer Unternehmen in den Partnerstaaten. Die Sozialstandards sowie der Arbeitnehmer- oder Verbraucherschutz werden nicht gefährdet, da die entsprechenden deutschen oder europäischen Regeln unberührt bleiben. Das ist auch bereits im Verhandlungsmandat, mit dem die EU-Kommission mit Verhandlungen beauftragt wurde, so ausdrücklich festgeschrieben.

Die Bundesregierung wird sich wie bisher dafür einsetzen, dass nationale oder europäische aufsichtsrechtliche Bestimmungen, die dem Schutz der Einleger oder der Finanzmarktstabilität dienen, durch Verhandlungen internationaler Abkommen wie dem TiSA nicht in Frage gestellt werden. Das gilt auch für bestehende Erleichterungen, beispielsweise für Kreditinstitute des Sparkassen- oder Genossenschaftsverbundes.

Ich danke für Ihre Unterstützung der Position der Bundesregierung, den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht in die Verhandlungen einzubeziehen. In den Verpflichtungslisten ist – wie in allen Freihandelsverhandlungen der EU auch – eine breite Ausnahme für die öffentliche Daseinsvorsorge enthalten. Es ist auch nicht angestrebt, dass durch TiSA Regulierungsmöglichkeiten des Staates wie in den von Ihnen angesprochenen Bereichen der Wasserversorgung, der Müllentsorgung und der Erwachsenenbildung, hier z.B. die Akkreditierung von Schulen und Universitäten, eingeschränkt werden.

Über die Verhandlungen zu TiSA informiert das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie den Bundestag und Bundesrat nach Maßgab des Gesetzes über die Beteiligung des Bundestags in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) sowie des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG). Zusätzlich werden regelmäßig Veranstaltungen im Ressortkreis und mit den Bundesländern, sowie mit Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) durchgeführt. Auch hier werden Fragen beantwortet und über den Stand der Diskussionen informiert.

Auch die EU-Kommission bezieht die Öffentlichkeit ein. So fand im September 2013 eine groß angelegte öffentliche Konsultation statt und jüngst im Mai 2014 eine Diskussion im Rahmen der Erstellung einer Folgenabschätzung zum Thema Nachhaltigkeit.

Mit freundlichen Grüßen
Sigmar Gabriel“


Artikel vom: 04.09.2014 13:50